Figeac, Frankreich
Zehn Monate habe ich jetzt hier im Südwesten Frankreichs verbracht. In der kleinen Stadt Figeac, zwischen Hügeln und mittelalterlichen Steinhäusern, Boulangeries und 2 Cafés, die immer abwechselnd für Café Crème’s und Gratis-WLAN besucht wurden. Die nächste größere Stadt, Toulouse, ist zweieinhalb Stunden mit dem Zug entfernt. Und so habe ich mich auf diese neue Lebensweise eingelassen, und ein Jahr „Pause“ gemacht zwischen Schule und Studium.
Das war ein knappes Jahr voller Veränderungen für mich, ein wichtiger Abschnitt, wo nicht nur viel Neues auf mich zugekommen ist, sondern ich mich auch selbst verändert habe.
Weil dieser Blog jetzt mein Hobby ist und ich mir dadurch die Erzählung von nichts als der Wahrheit (und kleinen Anekdoten) zur Aufgabe gemacht habe, werde ich jetzt Bilanz ziehen.
Und da viele meiner Leser durchs Jahr hindurch eine Menge Updates bekommen haben, wie es mir so geht, bin ich diesmal tatsächlich zum Nicht-Übertreiben gezwungen. Ein Glück war mein FSJ wirklich mit besonderen Erlebnissen gefüllt.

Mein Jahr in Nummern
- tatsächliche Arbeitstage: 153
- Ferientage (ohne Wochenenden): 62 (die Schulferien in Frankreich sind recht großzügig)
- Orte, in die ich verreist bin von hier aus: 26 (kleine Tagestouren in Dörfer in der Gegend sowie weitere Reisen)
- geschätzte Zahl an Café crèmes die ich getrunken habe: 50 (mindestens)
- geschätzte Zahl an gegessenen Croissants: 60 (ich werde die unvergleichliche Fluffigkeit vermissen)
- Einladungen zu typisch französischen drei-Stunden-Abendessen: 14
- Tage, an denen ich mich nach dem Sinn und Zweck meines FSJs gefragt habe: 5 (echt ein guter Schnitt)
- unvergessliche Momente: unzählbar
Wenn ich jetzt daran denke, abzureisen, tatsächlich tschüss zu sagen, scheint es unfassbar, dass das Jahr schon wieder vorbei sein soll. Aber wenn ich durch meinen Kalender blättere oder an die Reisen denke, daran, was alles in diesen 10 Monaten passiert ist und wie die Arbeit nach und nach zur Gewohnheit wurde und das Internat zu meinem zu Hause, dann wird mir klar, wie lang diese Zeit doch tatsächlich war.
> Ich und die soziale Arbeit
Zuerst werde ich mal mit meinem Alltagsrahmen anfangen, mit der Basis meines Freien sozialen Jahrs. Ich hatte einen recht entspannten Stundenplan, kurze Arbeitszeiten verteilt über den ganzen Tag mit langen Pausen dazwischen. Meist habe ich von 9 Uhr bis etwa 22.30 Uhr abends gearbeitet, aber mit langen freien Nachmittagen, sodass ich insgesamt zwar nie richtig Feierabend hatte, aber auch nie nach 6 Stunden am Stück gestresst und überanstrengt war. Meine Arbeit war sehr vielseitig…
Als ich hierher kam, erwartete ich, vor allem mit Jugendlichen zu arbeiten, ich wohnte in einem Internat mit 11 bis 18jährigen.
Zu meiner Überraschung stellte sich heraus, dass ein großer Teil meiner Arbeit in der Betreuung von kleinen Kindern besteht. Am Anfang war ich mir sehr unsicher, ob sie mich mögen würden, vorallem weil Ungeduld einer meiner großen Fehler ist. Aber ich wurde überrascht von der Fähigkeit dieser drei- und vierjährigen Kinder, mir zu vertrauen und mich gern zu haben. Und es wurde bald zu einem Lieblingsmoment für mich, morgens in die Vorschule zu kommen, unter den alten Kastanienbäumen hindurch über den Schulhof zu der Klasse zu laufen und dann von lauter kleinen Kindern begrüßt zu werden. Kindern, die oft weinen, oft spielen und manchmal zu einem halben Dutzend angerannt kommen, um mich mit einer Umarmung über den Haufen zu rennen. Aber der Punkt ist, dort konnte ich wirklich helfen, dort fühlte ich mich nützlich, und die Kinder gaben mir wahnsinnig viel Energie.
Die Klasse ist in einem „f.r.i.e.n.d.s“-mäßigen Lilaton gestrichen und mit Aufgabenblättern und Ausmalbildern geschmückt. Dort verbrachte ich während meiner 10 Monate mindestens 10 Stunden die Woche, und fühlte mich sehr wohl.
Und ich kann euch sagen, es gibt kaum eine härtere Schule als Kleinkinder, um eine Fremdsprache zu lernen! Sie brabbeln und sprechen leise und undeutlich, und wenn du nachfragst, sind sie verunsichert, denken, sie haben einen Fehler gemacht und werden den Satz garantiert nicht wiederholen. Und beim Kinderbücher vorlesen musst du die Worte ja alle richtig aussprechen, sonst gucken sie dich mit großen Augen an und machen „Hä?“ weil du statt „Haus“ „Huhs“ gesagt hast. Kinder geben sich keine extra Mühe, mich zu verstehen, weil sie zu klein sind, um zu verstehen, dass ich Ausländerin bin. Und das ist sehr motivierend, besser zu werden.
Auf jeden Fall hätte ich vorher nie gedacht, dass es so erfüllend sein kann, Zeit mit Vierjährigen zu verbringen, dass sie so kreativ und neugierig sind. Und spätestens, als mir ein süßer kleiner Junge ein selbstgemaltes Bild in die Hand drückt und mich voller Begeisterung ansieht, ist es sowieso um mich geschehen. 😊

Ansonsten habe ich oft in der Cafeteria und bei der Kuchenausgabe geholfen, was langweiliger war. Daher hab ich bald angefangen, mich während dieser Zeiten mit meiner Mitfreiwilligen Anna (na klar heißt sie auch Anna!) aus Ungarn anzufreunden. Wir beide sprechen eine Art „faules“ Französisch miteinander, mit eingestreuten Gesten, manchmal englischen Wörtern und „du weißt schon was ich meine“. Ich glaube, es ist schwierig über 10 Monate zusammen zu leben und zu arbeiten und sich nicht anzufreunden.
Zwischendurch habe ich Hausaufgabenhilfe gemacht und Deutschkurse für Zehnjährige gegeben. Wobei ich da schnell gemerkt habe, dass weniger die Vorbereitung der Stunden das Problem ist (Vokabellisten mit den einfachen Sachen, Aufgabenblätter zu Farben und Tieren, Lieder auf deutsch), sondern die Disziplin der Kinder in den Griff zu kriegen. Mensch, können Zehnjährige anstrengend und frech sein! Das war aber eigentlich auch ein besonders interessanter Teil meiner Arbeit, weil ich Deutschland mal aus den Augen eines anderen Landes gesehen habe. Mir gefällt es, mal „Ausländerin“ zu sein. Man bekommt eine neue Perspektive.
Abends gab es Arbeit im Internat. Schüler betreuen, Handys der Jüngeren einsammeln… Im Prinzip, sich lange gemütliche Abende mit den Jugendlichen und Kindern im Internat machen.
Manchmal gab es Filmabende im Gemeinschaftsraum, Crêpes-Abende oder, gerade erst letzte Woche, die „Fête de la musique“, als wir mit den Internatsschülern eine Tour durch die Stadt gemacht haben und draußen den Musikern zugehört haben.
Um die Zeit Anfang Dezember rum bekam ich abends die Aufgabe, ins separate, kleinere Internat der Jungs von 15 bis 18 Jahren zu gehen. Und die Arbeit dort habe ich wirklich schnell zu lieben gelernt! Es war einfach mega entspannt, jeden Abend von Montag bis Donnerstag dort zu verbringen, mit ihnen zu quatschen und ihnen zu helfen, sich auf Präsentationen u. ä. vorzubereiten. Dort habe ich mich sehr wohl gefühlt.
Außerdem konnten sie meine Hilfe gut gebrauchen. Ende März war ein großes Spektakel geplant, eine Show der Internatsschüler für den Rest der Schule. Abends probten die Jungs ihre Sketche, es gab eine Gruppe, die Hip Hop getanzt hat und ein paar von ihnen haben Musik gemacht. Und ich saß dabei, konnte kritisieren und klatschen und Vorschläge machen, und wurde überrascht davon, dass sie mich tatsächlich respektierten und meine Ideen gut fanden.
Bis zu den Weihnachtsferien hatte ich also schon gut meinen Arbeitsrhythmus gefunden, kannte Leute, mit denen ich gerne Zeit verbrachte, hatte eine Idee, wie mein Freiwilligendienst ablaufen würde.
> Ich und „zu Hause“
Zu Weihnachten nach Hause nach Berlin zu fahren war schön, und gleichzeitig wirklich seltsam. Ich hatte im Ausland so gut wie gar keine Probleme mit Heimweh. Ich habe ziemlich gut Kontakt gehalten mit meiner Familie und natürlich vermisst man seine Freunde. Aber die ganzen neuen Eindrücke, die auf dich einfließen, dämpfen diese Gefühle total. Dann lebst du dich ein, und es ist einfacher als gedacht, die ganzen Veränderungen zu akzeptieren. „Alleine“, das heißt ohne Eltern zu leben macht Spaß, und es gibt so viele interessante Sachen, dass man kaum dazu kommt, an die Heimat zu denken.
Ich habe mich recht schnell ins Kleinstadtleben eingefunden (schneller, als dem Stolz meines früheren „Ich liebe nur die Großstadt“-Ichs lieb wäre) und da ich bei meiner Rückkehr im Dezember „erst“ dreieinhalb Monate weg war, vermisste ich Berlins Vorteile noch kaum. Daher war es umso überraschender, in Deutschland plötzlich wieder mit allem überhäuft zu werden, was bekannt ist, mit Gerüchen, Ausblicken, Gewohnheiten, von denen ich vorher gar nicht wusste, dass ich sie mit „zu Hause“ assoziiere. Ich war sowieso schon immer ein „Sucker for Christmas“ und habe meine 2 Wochen wirklich genossen.
Was schwieriger war, war danach wieder nach Frankreich zurückzukommen. Schwieriger als Ende August, weil die Aufregung vor dem Neuen sich gelegt hatte, weil ich jetzt tatsächlich eine Vorstellung hatte, wie lang 4 Monate „nicht zu Hause“ sich anfühlen, und der Großteil meines Jahres ja noch vor mir lag.
Durch den Januar kam ich ganz gut durch, weil wir ein Seminar an der Côte d’Azur hatten. Die anderen Freiwilligen wiederzusehen hat mir wieder Lust gemacht, mir wieder gezeigt, was mein Freiwilligendienst für Vorteile mit sich bringt. Internationale Freundschaften sind eine coole Sache, und vorallem meine liebe Anna nach Weihnachten wiederzusehen tat gut, nachdem wir uns nun aneinander gewöhnt hatten.

Ende Januar oder Ende Februar, ich weiß nicht mehr so genau, gab es einen Moment, wo es nochmal „klick“ gemacht hat zwischen mir und Figeac. Mich wieder in meinen Alltag einzufinden ging schnell, und nun, nach den Ferien, fühlte es sich normaler an. Wie eine Rückkehr zum Normalen, als ob ich hierhin gehörte. Ende Januar kam ich mit Anna vom Seminar zurück und wir kamen nach Figeac, und ich hatte zum ersten mal das sichere Gefühl „Hallo, zu Hause.“ Und das ist seitdem nicht mehr gewichen.
> Ich und meine Mitmenschen
Was mir wirklich geholfen hat, hier meinen Platz zu finden, waren auch zu großem Teil die Menschen, mit denen ich den Großteil meiner Woche verbrachte. Nicht nur Anna, sondern die Kollegen, die Betreuer, die Kindergärtner, die Café-Kellnerinnen, die mich beim Vornamen kannten.
In der Grundschule war es Line, die Kindergartenbetreuerin. Ich habe wirklich Respekt vor der Art, wie sie mit den Kleinen umgeht, sie nimmt sie ernst, hat sie lieb aber kann auch streng sein. Die Art Kindergärtnerin, mit der man gerne arbeitet. Die Kinder haben mir vertraut, weil sie mich als eine vertrauenswürdige Person vorgestellt hat.
Laetitia, Aufsichtsperson im Gymnasium, war die erste, die uns zu sich nach Hause zum Essen eingeladen hat. Und es blieb nicht bei dem einen Mal, übers Jahr haben wir immer wieder Ausflüge gemacht, sind Wandern gegangen, haben Karten gespielt oder waren in ihrem Pool. Ihre ganze Familie hat mir sehr geholfen, mich willkommen zu fühlen und als ob man einen Ort hier hat, wo man hingehört.

Und Florence, die liebe „infirmiere“ (Pflegerin, Sorgentante), zu der den ganzen Tag alle Schüler mit ihren Sorgen kommen, hat trotzdem zwischendurch noch Zeit gefunden, um mit Anna und mir zu reden, hat uns zu sich eingeladen, war immer für uns da.
Solche Menschen machen es nicht nur so viel einfacher, sich in einem fremden Land wohl zu fühlen, sie sind für mich auch einer der wichtigsten Bestandteile eines Auslandsjahres. Bekanntschaften, Freundschaften in der Ferne, sind bereichernd und wichtig und notwendig und toll.
Natürlich sind da nicht nur die Kollegen. Ich hab mich gut mit den älteren Jungs im Internat verstanden. Ich habe mich auf einem Musikabend mit einer Reihe von Schülern angefreundet, die grade ihr Abi machen und nur ein Jahr jünger sind als ich, und wir haben Wochenendausflüge gemacht. Ich habe eine Literaturstudentin kennengelernt, die in Toulouse studierte, aber an den Wochenenden in die Kleinstadt kam und stundenlang mit mir Kaffee getrunken und diskutiert hat. Und ich habe eine Menge an tollen Freunden unter den anderen Freiwilligen in Frankreich gefunden, die zwar nicht die ganze Zeit bei mir waren; aber wir sind zusammen gereist oder haben uns über dieselben „Freiwilligen-Struggles“ ausgetauscht, die jeder hat, und waren dann umso glücklicher, uns auf den Seminaren wiederzusehen.
Mein Jahr hier in Frankreich steckte voller neuer Freundschaften, und darüber bin ich sehr froh. Es ist natürlich herzzerreißend, sich vielleicht für immer verabschieden zu müssen, aber es ist auch cool, vielleicht in den nächsten Jahren nochmal zu Besuch kommen zu können und neue Reisen zusammen zu starten. Außerdem ist es viel besser traurig zu sein, weil man tolle Leute kennengelernt hat und es vorbei geht, als niemanden kennenzulernen und dann schmerzfrei wegfahren zu können.
„How lucky i am to have something that makes saying Goodbye so hard.“
– A. A. Milne
(Spruch der auf meinen Grabstein soll)
> Ich und die französische Sprache und Kultur
Ich hatte in meinem Auslands-Abenteuer eine Hürde nicht zu überwinden, die für viele Andere wohl sehr hart ist: die Sprache war für mich kein wesentliches, unüberwindbares Problem. Ich muss sagen, kaum etwas kann dich besser vorbereiten als 5 Stunden die Woche bei Herrn „Si tu n’apprend pas ton vocabulaire, je vais me fâcher“ (sehr, sehr frei übersetzt: „Wenn du deine Vokabeln nicht lernst fresse ich dein Haustier“).
Dennoch gibt es eine Menge an kleinen Dingen, die man im Alltag lernen muss. Beispielsweise den starken und von Parisern gefürchteten Südwestler-Akzent zu erkennen, den die nette Putzfrau radebrecht, und zu vermeiden, ihn sich selbst anzugewöhnen. Zum Beispiel sollte man „le chemin“ – der Weg – in klarem Hochfranzösisch „lö chöman(g)“ und nicht „lö chehmeng“ aussprechen.
Im Café lernst du, dass dich keiner ernst nimmt, wenn du touri-mäßig einen „Café au lait“ bestellst, das nennt sich hier „Café Crème“. Das ist übrigens nicht einer von denen, die du auch in Berlin bestellen kannst. Ein richtiger Café Crème ist eine Art cremiger Espresso in einer großen Tasse, und dazu bekommst du eine große Kanne heiße Milch. Die Milch ist nicht geschäumt, da ist kein albernes Kakaoherz oben draufgesträut und mit Sicherheit ist es nicht diese graue Brühe, die direkt aus dem Kaffeeautomaten kommt. (*schauder* – was mach ich nur, wenn ich nicht mehr an meinen guten Kaffee rankomme?)
In der Boulangerie wirst du schräg angeschaut und teilweise (ich spreche hier aus Erfahrung) schlicht nicht bedient, wenn du ein „Pain au chocolat“ bestellst. Die leckeren Schokobrötchen, die es auch in Deutschland gibt (allerdings weniger fluffig und puffig), heißen in der Toulouser Umgebung „Chocolatine“. Und wenn du auf deinem hier in der Gegend falschen Begriff „Pain au chocolat“ bestehst, bekommst du einfach die wortwörtliche Übersetzung vorgesetzt – ein „Brot der Schokolade“, eine Baguettescheibe mit einem Stück Vollmilch-Schoki obendrauf.
Eine andere Erfahrung ist, in allen möglichen Alltagssituationen von verschiedensten Menschen als „Ausländerin“ behandelt zu werden.
Ich habe die wenigen Lehrer und Betreuer, die mir meine Französisch-Stolperer sofort gesagt und mich korrigiert haben, wirklich zu schätzen gelernt. Sie sind wenigstens ehrlich, und das ist um Längen besser als diese Leute, die dich verständnislos anstarren und nichts sagen. Manche geben sich auch einfach keine Mühe, wollen dich nicht verstehen.
Manchmal ist es mir passiert, dass ich ein Wort erfunden habe – dass ich in einem Gespräch mit Anna ein englisches Wort französisch ausgesprochen habe und es dann einfach immer weiter benutzt habe. Anna kann englisch, sie hat mich verstanden und hat als Nicht-Muttersprachlerin den Fehler auch nicht bemerkt. So nahm ich z. B. das Wort „application“ (französisch ausgesprochen) ganz natürlich in meinen Wortschatz auf, bis ich es etwa 3 Monate später das erste mal mit einem französischen Muttersprachler benutzte und bemerkte, dass das Wort auf französisch gar nicht existiert und dass das, was ich meine, „inscription“ heißt.
Ein wenig erniedrigend finde ich die Art und Weise, wie mich französische Touristen in Figeac behandeln. Ich hatte schon immer irgendwas an mir, das die Leute dazu bringt, mich nach dem Weg zu fragen. Nun ist Figeac, im Gegensatz zu Berlin, wirklich nicht groß und ich kann die Auskunft gut geben. Aber im März (da war ich immerhin schon bald 8 Monate hier), sobald ich fertig war mit meiner genauen Beschreibung nach dem Motto „Da hinten am Restaurant rechts vorbei, dann geradeaus; die zweite rechts rein und dann auf der linken Seite unter dem Torbogen durch“, schaute mich die fragende Französin unsicher, ja, misstrauisch an. Und als ich ihr einen schönen Tag gewünscht hatte und mich noch mal umdrehte, um zu sehen ob sie in die richtige Richtung lief, hatte sie 10 Meter weiter noch jemanden angesprochen. Den Akzent wird man nicht los. 😞
Von der französischen Kultur hatte ich vorher die Vorstellung eines riesigen landesgroßen Paris. Ich stellte mir dünne Frauen in schicken Schuhen vor, abendliche Dinnerparties und haufenweise Baguettes und hübsche Kuchen in glänzenden Schaufenstern.
Nun, zumindest der letzte Punkt stimmt genau. Man hat kein richtiges Croissant gegessen, wenn man es nicht in Frankreich in einer kleinen Boulangerie gegessen hat. Fluffiger und buttriger als erlaubt sein sollte, am besten warm aus dem Ofen. Der Himmel.
Und das Bild, was man sowohl in schönen retro „typisch Frankreich“ Fotos in schwarz-weiß sieht, als auch in jedem Film, der in Frankreich spielt – der ältere Herr mit Schirmmütze und Baguettes unter den Arm geklemmt – dieses Bild ist kein Klischee. Mittags, wenn ich in der Grundschule fertig war, sah man oft genau diesen Bilderbuch-Franzosen in Fleisch und Blut über den Marktplatz nach Hause laufen.
Wenn man zum Essen eingeladen wird, dann isst man spät und lange. Es beginnt ganz gemütlich mit einem Apéritif. Hier in der Region gibt es einen „Kir“, einen Mix aus Cassis-Sirup und Weißwein, oder Rosé, oder was auch immer grad im Haus ist und die Gäste über die erste Stunde des Gesprächs bringt. Dazu gibt es Chips und Nüsse.
Dann der Hauptgang, dann Käse, dann Dessert, dann Kaffee. Es gab Abende, wo wir um halb 12 noch nicht mit Essen fertig waren. Ich persönlich glaube ja, die Franzosen ziehen diese Abende dermaßen in die Länge, weil es SO viel zu essen gibt und sie Pausen zwischen den Gängen brauchen.
Ich habe es – entgegen der nicht versteckten Hoffnungen meiner Familie – tatsächlich geschafft, in einem Jahr in Frankreich nicht zum Käse-Fan zu werden. Was ich allerdings probiert habe, sind Schnecken. Und Froschschenkel. Was den Titel dieses Blogeintrags geradezu lächerlich ironisch macht. Aber die sind eigentlich gar nicht so schlecht, wie man denken könnte – schmecken hauptsächlich nach Butter.

Eine weitere Freude der französischen Kultur und Sprache war für mich, ins Kino zu gehen. Am Anfang dachte ich noch, es würde nervig werden, weil die Leute in den Filmen nun mal so viel schneller sprechen als die, die man im Alltag trifft. Ich habe Komödien vermieden, weil es wirklich schwierig sein kann, Wortwitze zu verstehen, oder schnelle Wortwechsel zu verfolgen. Aber ich muss sagen, nach nur einigen Filmen hat es echt angefangen, Spaß zu machen! Es ist komisch, amerikanische Filme auf französisch zu sehen… wenn man sieht, dass die Mundbewegungen nicht mit den Stimmen harmonieren. Aber es laufen eh hauptsächlich französische Filme in unserem kleinen Kino. Es gibt einen einzigen Saal mit gemütlichen roten Sesseln. Popcorn Verkauf lohnt sich nicht, aber dafür kannst du einfach mal ein Filmplakat mitnehmen, wenn du nett fragst. Eintritt 5,50€ (unfassbar, wenn man es mit Zoopalast-Preisen vergleicht). Besonders gefallen hat mir „Demain tout commence“ mit Omar Sy, und auch „Alibi.com“ war sehr gut und lustig. Und Filme sind auch ein toller Messstab für den eigenen Französisch-Fortschritt. Mitte Dezember bin ich aus dem Kino gekommen, hab Anna angeguckt und total erstaunt gesagt: ich habe jedes einzelne Wort verstanden! 😃 Insgesamt waren wir vielleicht so 15 bis 18 mal im Kino, und ich muss ja zugeben: den französischen Humor lernte ich auch zu schätzen. Nicht so vorhersehbar wie der amerikanische, und auf eine andere Art rabenschwarzer Humor als der britische. Aber ich freu mich auf jeden Fall jetzt schon, zu Hause ins „Cinema Paris“ in französische Filme zu gehen.
> Ich und was aus mir geworden ist
So, und nun bin ich wirklich am Ende angelangt. Es läuft immer alles anders, als man es vorher erwartet – das war hier nicht anders. Aber meine Hoffnungen für ein neues Abenteuer, eine neue Herausforderung haben sich erfüllt.
Ich selbst bin, fast ohne es zu merken, selbstständiger und organisierter geworden – plötzlich bin ich die Reiseplanerin unter meinen Freunden, weiß, wie man mit Budjet einkauft, bin daran gewöhnt, alleine zu leben. (mit Ausnahme einiger Anrufen bei Mama zu Hause über Life Hacks wie z. B. „Wie kocht man nochmal Kartoffeln?“ 😂).
Und worüber ich besonders froh bin, ich bin offener geworden. Das wird mir von meinen Freunden gesagt und das merke ich auch selbst in meiner Verhaltensweise. Ich traue mich mehr, ich gehe auf Leute zu, ich bin mutiger. Das freut mich, denn das wird mir in der Zukunft noch nützlich sein, wenn ich diese Eigenschaft mitnehme in mein weiteres Leben.
Und damit sage ich danke für die neuen Freundschaften, für die Reisen, für die kulturellen Experimente, für spontanes in-Unterwäsche-Anbaden im Fluss, für bis-tief-in-die-Nacht-quatschen, für begeistertes Kindergrinsen, für den Spaß und die Herausforderung und die Unterstützung und die Liebe und den starken Kaffee mit extra Milch.
Danke! Ich mache mich jetzt auf zu neuen Wegen – und bin bereit für neue Abenteuer. An meine Zeit hier in Figeac werde ich aber immer mit einem Lächeln zurückdenken. 😊
Bis wir uns wiedersehen (ganz bald in Berlin), verabschiede ich mich nun wieder von euch! ❤
Ganz liebe Grüße.
Anna 🙂
Ich liebe Dich, meine Große. Mach immer so weiter.
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