Wien, Österreich
Wien ist eine Stadt, der ich begegnet bin mit keinerlei genauen Vorstellung, was mich erwartet, aber mit hohen Erwartungen, dass es mir gefallen würde. Jeder, mit dem ich in den letzten Monaten meine Urlaubspläne geteilt habe, meinte „Ach Wien? Wien ist soo schön.“
Das Ruthensteiner Hostel ist jedenfalls mehr als gemütlich, der Rezeptionist hat einen unglaublich niedlichen österreichischen Akzent, und mit kleinem Hintergarten und bunten Stadtkarten mit Tipps an der Wand fühlt man sich hier sofort
gleichermaßen zu Hause und bereit zum Entdecken.
Das erste Essen gibt es in einem Wiener Café (Café Westend), das wunderschöne Kristallleuchter, einen Zeitungsständer mitten im Raum und Grüne Deckenornamente hat, aber dreckige Fenster und ausgetretene, von den Jahren zerkratzte
Holzdielen. Das gehört zum Charme dazu.
Da wir wirklich spät in Wien angekommen sind und 10 Stunden Zug (mit Verspätung, 2 mal umsteigen und Unterbrechung) doch anstrengend sind, wollen wir nur nochmal ganz kurz in Richtung Altstadt schauen, um einen ersten Eindruck von Wien zu kriegen.
In der Dunkelheit wirkt die Hofburg wie eine Geisterstadt, irgendwie verlassen. Einzelne Touristen schlendern noch über die weiten leeren Plätze, aber die Fassaden sind nur in kühlem Weiß angeleuchtet und ich kann ihre Schönheit noch nicht richtig sehen. Architektonisch fühle ich mich hier wie zwischen Humboldt-Universität und dem weiten Steinvorplatz des Trafalgar Square in London. Die Fassaden kühl, groß, beeindruckend – aber eher ein bisschen einschüchternd wirken sie auf mich.
Auf Anhieb gefällt mir dagegen das Museumsquartier – es wirkt weniger ausgestorben, hier sind noch ein paar Studenten unterwegs, sitzen auf dem von Museen eingerahmten Platz, einige spielen Boule. Nur ein kurzer Schnappschuss von der Atmosphäre dieser großen Stadt.
„A sackerl dazu?“ wird man im Zeitungsladen gefragt. Frisch und sommerlich startet der erste Tag in der österreichischen Hauptstadt. Frühstück gibt es in einem urwiener Café, dem Jelinek im 6. Bezirk, gegründet 1910. Abgeblätterte Tapeten, aber toller Kaffee erwartet einen. Es gibt Schnittlauchbrot und Wiener Melange (= Kaffee mit Schlagsahne).
Alles wirkt etwas abgeschroben, aber grad darum gemütlich, der Ober ignoriert Kunden die ersten paar Minuten scheinbar aus Prinzip, doch dies gehört alles zur Wiener Kaffeekultur dazu. Diese ernsthaft kultverdächtige Mischung aus Ambiente, Verhalten und der Art, wie man sich in den Kaffeehäusern gibt, wird auch durch die „Aura der Freiheit“ aufrecht erhalten – und das bedeutet hier Unaufdringlichkeit als liebevollen Dienst dem Gast gegenüber. Dieser soll sich nie durch ein „Haben Sie noch einen Wunsch“ gedrängt fühlen, soll den ganzen Tag hier vertrödeln können mit nur einem „kleinen Braunen“ vor sich. (Monika Czernin, Gebrauchsanweisung für Wien). Dagegen würde auch nichts sprechen, der Kaffee ist wirklich gut – außer dass mich die Neugier auf die Stadt dazu drängt, Dinge zu entdecken.
„Kunst kann nicht modern sein; Kunst ist urewig.“
– Auch wenn Egon Schiele das sagte, wirken seine Bilder doch wie traurig-düstere Illustrationen aus einer ganz anderen Welt, und durch ihre einzigartige Melancholie sehr modern und besonders. Vielleicht meinte er genau das damit: Wenn seine Bilder heute, 100 Jahre nach Entstehung noch modern wirken, die Städtebilder andersartig scheinen, die Akte immer noch provozieren, hat er dann etwas geschaffen, das für immer bedeutsam ist?
Jedenfalls gefällt mir das Leopold Museum wirklich gut. Nicht nur die größte Sammlung von Egon Schiele, sondern auch einige von Gustav Klimts Werken sind hier zu sehen. Höhepunkt ist das Gemälde „Der Tod und das Leben“, das wirklich wunderschön ist.
Man fühlt sich, als würde man richtig in das Leben der Künstler eintreten, auch durch die Ateliers und im Jugendstil designten Möbel (Malerschränkchen) kann man durchspazieren. Die Möbel, inmitten derer Klimt gewohnt und gemalt hat. Wie soll man sich da nicht fühlen wie direkt um 1900?
Ein schöner Museumsshop kann dann den Besuch nur noch perfekt machen… wenn man für ein paar verrückte Minuten überzeugt ist, dicke Kunstbücher unbedingt mitnehmen zu wollen. Am liebsten hätte ich jetzt alle Wände in meinem Schlafzimmer mit bunten Tupfen wie in Klimts ausdrucksstarken Bildern vollgemalt. Was für ein Eindruck!
Das Museumsquartier ist sowieso sehr schön. Es ist bunt und jeder Bogendurchgang anders bemalt, Kinder spielen an den Wasserbecken, Studenten in den Cafés, es wirkt erstaunlich ruhig durch die Abgeschottetheit von der nahen 4spurigen Straße. Hier fühle ich mich wie als würde ich Kunst studieren. Es gibt feministische Bücher und Kunstdrucke zu kaufen. Da fühlt man sich richtig wissensdurstig – nach mehr Wien, neuem und altem.