Das Gesicht der Sonne(nseite) zugewandt

Neapel, Italien

Beim ersten mal in Napoli aufwachen schlafe ich erstmal in Ruhe aus, dann überleg ich mir, wie ich heute vielleicht mal ans Meer komme. Nach der langen Busfahrt am Vortag habe ich Lust auf Entdecken, aber will mich selber nach Lust und Laune durch die Stadt suchen, statt Sehenswürdigkeiten hinterherzujagen. In Neapel selbst gibt es sowieso nicht so wahnsinnig viele alte Denkmäler oder Museen zu sehen, durch die ständig wachsende Bevölkerung ist die Stadt eher voller neuer Gebäude und verändert sich ständig.
Als erstes begebe ich mich wieder in Richtung der Gegend um die Università, die mir gestern so gut gefallen hat. Da such ich mir ein Café und bestelle diesmal aus Versehen einen kalten Cappuccino – was sich aber als Glücksfall herausstellt bei der knallenden Sonne.

Das Cappuccino-Projekt (4)

In einer belebten Straße kann man aus dem Menschenstrom in dieses Café beiseite treten und sich draußen in den Schatten mit Blick auf die Kirche setzen. Der Kellner ist zwar etwas überfordert mit Gästen, bringt mir dann aber einen perfekten Eis Kaffee für 2€. Ich mag es nicht, wenn tatsächlich Eiswürfel im Getränk schwimmen, das macht den Kaffee so dünn. Aber dieser milchige (nicht cremige), starke Kaffee ist genau auf der richtigen Temperatur, dass man gut durchgekühlt wird, aber keinen „Brain Frost“ bekommt.

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Insolito Caffè gegenüber der Kirche
Via Pasquale Placido, 8
80138 Napoli

Danach mache ich mich auf die Suche nach der Piazza Bellini, die wohl ein wenig grüner sein soll, eine Oase in der Stadt. Das Stadtbild ist ansonsten geprägt von gelben und orangen Häusern, auf jedem Balkon hängt Wäsche zum Trocknen, und überall entdeckt man Graffiti – hier auffällig viele Jesus- und Maria-Graffiti.

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Esprit der Stadt

Tatsächlich gefällt mir dieser Platz sehr gut – inmitten der teilweise schmutzigen, lauten und vollen Stadt sieht man hier etwas Grün, ringsum stehen vegetarische Restaurants und ein paar mittelalte italienische Freundinnen unterhalten sich ganz entspannt auf ein paar Bänken.

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Piazza Bellini

Noch ist es zu früh für Essen und ich laufe lieber wieder ein bisschen in Richtung Süden… wobei ich ganz zufällig plötzlich ungeahnt in eine Musikergegend komme. Das schließe ich zumindest aus all den Geschäften für Instrumente, und den jungen Männern mit Cello-Koffer auf dem Rücken, die mir entgegen kommen.

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Via S. Sebastiano
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Auswahl

Und tatsächlich befindet sich direkt um die Ecke das Conservatorio di Musica. Das gefällt mir! Die jungen Menschen machen mir diese Stadt fast wider Willen doch noch sympatisch…

Man hört jemanden in einer der oberen Wohnungen Klavier üben, aus einem weiter entfernten Zimmer dringt sogar eine schöne kräftige Frauen-Singstimme herüber. Nette Gegend.

Dann schaue ich in einen Innenhof hinein und sehe den Eingang zum „Palazzo Venezia“ und darunter steht noch Gallery.

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einladender Eingang

Ich habe schon irgendwo auf einem Blog gelesen, dass es schon viele Kunstgallerien in Neapel gibt, die aber oft sehr versteckt in Hinterhöfen sind und kaum finanziellen Rückhalt haben. Als ich durch das leere Eingangszimmer gehe und mir ein kleiner Herr mit einem großen Schnauzbart den Weg eine schmale Steintreppe hinaufweist, denk ich auch schon: das kann doch nicht gratis sein? Bestimmt locken sie mich erst richtig rein und verlangen dann Geld. Oben finde ich einen schmalen Gang mit Fotografien, und einen netten Mann der mir zeigt, in welche Richtung der Dachgarten liegt. Offensichtlich geht er davon aus, dass ich in den Garten will. Nun, das ist zwar nicht meine Vorstellung von einer Gallerie, aber warum nicht? Und dann trittst du hinaus und es versteckt sich wirklich eine Art Mini-Regenwald dort auf dem Dach. Wie schön ist das?

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wie kann das alles überhaupt so grün bleiben und nicht austrocknen bei der Hitze?
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Steintor zur Wohnung mit Hahnenbemalung
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Pause für den Touristen, der genug vom Stadtstress hat

Allerdings bin ich immer noch nicht sicher, wie die sich das mit ihrem Dachgarten hier denken – wie sie das finanzieren. Als ich sehe, dass Schnauzbartträger die Palmen auf der Terrasse wässert, schleiche ich mich darum heimlich hintenrum wieder raus, ohne dass jemand etwas bemerkt hätte. Mission „geheimer Garten“ ohne Bezahlen accomplished.

Als ich wieder rauskomme und um die Ecke biege, entdecke ich die Via Benedetto Croce, die bis zum Schluss meine Lieblingsstraße bleiben wird. Durch Universitäts-Nähe sind hier viele junge Leute unterwegs, natürlich auch viele Touristen, und die Schaufenster an beiden Seiten quellen über von Schmuck, Souvenirs, Café-Auslagen und fancy Kuchen und einigen Läden mit indisch anmutenden langen Röcken mit bunten Mustern. Ganz gegen meinen Willen – eigentlich hatte ich mir schon  ein wenig eine konservative, etwas negative Meinung über diese volle, leicht heruntergekommene Stadt gebildet – fange ich an, diese Gegend wirklich zu mögen. Ich finde ein wunderhübsches Paar Ohrringe (Ausbeute, hehe), immerhin das erste Ding außer Essen und Postkarten, was ich in diesem Urlaub kaufe. Dann bewege ich mich weiter in Richtung Westen, wo ich auf die Piazza del Gesù Nuovo stoße. Nach schon einigen Kirchen, die ich mir hier angeschaut habe und nicht weiter erwähnt habe, weil sie dermaßen schmucklos und gewöhnlich waren, sehe ich hier noch ein großes Eingangstor und gehe hinein, ohne am Gebäude hochzublicken. Eine Sekunde Stille. Wow-Moment. Das ist eine der schönsten Kirchen, die ich je gesehen habe.

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Schöne Deckenbemalung
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Muster im Marmor
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einfach mal ein großes „Wow“.

Draußen fällt dann auf, hätte ich mal hochgeguckt, hätte ich die beeindruckende Fassade schon vorher entdeckt. Aber ich bin froh – auf diese Weise war meine Überraschung, sowas Schönes zu sehen, noch größer.

Dann geht es jedenfalls in Richtung spanisches Viertel. Hier nimmt die Menge an frischem Fisch und Obstläden drastisch zu, während man durch die Straßenschluchten sieht, dass es jetzt keine ebenerdigen Wege mehr gibt – wie in San Francisco, entweder auf oder ab.

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überquellend
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frischer Fisch
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Okay? Sind die jetzt zu früh dran oder zu spät?

Schließlich komme ich in eine reichere Gegend, was man hauptsächlich daran merkt, wenn man in ein Schaufenster guckt und die Preise in der Auslage plötzlich vierstellig sind. Auch hängt hier keine Wäsche mehr von den Balkons. Ich schätze mal, die High society von Neapel besitzt Trockner – auch wenn das bei der Hitze eigentlich echt Unsinn ist.

Es scheint, als ob ich der Gegend „Chiaia“ näher komme – Da, wo laut Google ein botanischer Garten liegt und man vielleicht sogar etwas näher ans Meer kommt.

Ich bemerke urplötzlich, dass die Straßen nicht mehr so voll von Touristen sind. Frauen tragen schicke Designer-Kostüme und Stöckelschuhe. Dann blitzen die ersten Palmen zwischen den Häusern auf – und endlich, endlich blau bis zum Horizont!

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Meer-Motive bei Straßenkünstlern – ich komme näher!
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Zeichen des Südens
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Finally!!!

Und dann klettere ich auf die weißen Steine, strecke die Zehen aus und Wende das Gesicht den Wellen zu. Nun, Neapel, da hast du es wohl doch noch geschafft, zu punkten. Gegen einen heruntergekommen-charmanten (eher ersteres als letzteres) Lebensstil kann ich mir noch meine kritische Einstellung wahren. Aber wer kann schon diesem dunklen Blau widerstehen?

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Wellenrauschen und ein kleiner Moment pures Glück
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Oha, versteinerte Muscheln in dem Stein auf dem ich saß!
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kann nicht mehr aufhören zu lächeln

Ciao ihr Lieben!

Anna

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2 Gedanken zu “Das Gesicht der Sonne(nseite) zugewandt

  1. Na, da hast du doch noch eine schöne Seite von Neapel gefunden!! Gratulation!!Und das du beim Straßenverkehr an Opa gedacht hast( hüpfen musst du….) finden wir besonders nett👍 Gute Weiterreise und schöne , neue Erlebnisse! Wir sind gespannt darauf. Ist ja schon, als wären wir selbst unterwegs!

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