Die Freuden der französischen Bahn

Figeac, Frankreich

Nachtrag vom 01.06.2017

Ich muss sagen, allgemein gesehen hatte ich einen recht entspannten Tag. (Im Nachhinein betrachtet ist dieser Satz geradezu lächerlich positiv. Aber na gut, ich habe angefangen, diesen Artikel zu schreiben, bevor irgendein Zug irgendeine Verspätung hatte. Also fangen wir erstmal ganz in Ruhe an – so wie ich eigentlich dachte, dass der ganze Tag laufen würde. Wir sehen uns in einigen hundert Wörtern wieder.)
Abgesehen vom frühen Aufstehen und einer kurzen aber heftigen emotionalen Achterbahnfahrt, die ich am Schluss meines letzten Textes beschrieben habe, war es doch ein schöner Tag. Gefüllt mit Zugfahrten quer durchs Land – beziehungsweise schlafen, lesen und Nichtstun, von der Gesellschaft als „cool“ akzeptiert, sobald man es als reisen definiert.
Von Stosswihr (ab vom Schuss im Waldhaus) ging es mit dem Bus nach Colmar, ein kleines Städtchen, das mehr mit süddeutscher als französischer Kultur zu tun zu haben scheint. Das zumindest schließe ich aus der Masse an kleinen Fachwerk-Häuschen, an denen wir vorbei fahren. Colmar hat vor allem auch einen Bahnhof, was die Anbindung an die Zivilation in den Bereich des Möglichen rückt.
Von Colmar ging es im Regionalzug nach Strasbourg, dort haben Anna und ich uns ein schnelles Mittag im Bagel-Laden geholt…
… und haben, Ich mit Backpack auf dem Rücken, noch eine schnelle Stadttour zum Abschiednehmen gemacht.

Eine glückliche Anna umrahmt von Blumen

Dann ging es weiter nach Paris, erstaunlich schnell und entspannt, wobei das Ganze etwas schwieriger wurde durch erhöhte Abschiedsnostalgie auf meiner Seite und lieben „Es war so schön dich zu treffen, du bist so ein toller Mensch, wir müssen uns auf jeden Fall irgendwann mal wieder treffen“-Kommentaren auf Facebook auf der Seite der anderen Freiwilligen.
Ich glaube ich verstehe jetzt zum ersten mal die bitteren widersprüchlichen Gefühle meiner deutschen Freundinnen, die sich statt für einen einzigen Arbeitsplatz im Ausland für ein wildes Herumreisen entschieden haben. Australien klang für mich aus den Erzählungen bisher immer wie Abenteuer und lauter neue Erfahrungen – jetzt verstehe ich, wie das ständige Kennenlernen und Abschiednehmen (vielleicht für immer) einen fertig machen können.
Trotzdem, man sollte froh sein, dass man Menschen hat, die man so sehr vermissen wird. Ein bisschen Pipi in den Augen ist da ein guter Preis für großartige, kurzweilige Bekanntschaften und Freundschaften. Und wer weiß, vielleicht halten einige ja wirklich noch ewig und man kann sich besuchen fahren – ich fahre dann mal eben so ganz casual zu einer Freundin, die aus Estland kommt und in Frankreich wohnt?

Der Handy-Empfang unterstützt meinen leichten Hang zum Drama und dazu, sich in etwas hinein zu steigern, allerdings nicht wirklich und so werde ich nach 2 Stunden verzweifeltem auf-2-Balken-Hoffen in Paris auf dem Bahnhof vom Zug ausgespuckt. Es ist irgendwie seltsam, inzwischen in dieser Stadt ganz normal vorbei zu kommen und zufällig auf einer Reise hier Zwischenstation zu machen, wo ich vor einem Jahr noch Paris als Traumziel einer weiten Reise sah. Was es auch ist, aber eben nicht vom französischen Blickwinkel aus.
Inzwischen habe ich längst akzeptiert, was für Deutsche unverständlich ist: die Zugfahrten, in deren Mitte man statt nur von einem Gleis zum anderen zu laufen, einmal quer durch die Stadt muss, um den Bahnhof zu wechseln.
Anna und ich haben diesmal sogar noch Zeit, zwischendurch einen Kaffee zu trinken.
Ich muss schon sagen, so langsam verliert sich das mit der Reise-Aufgeregtheit und weicht einem ruhigeren Sich-Auskennen-Gefühl… Oder zumindest einem resignierten Gefühl von „Whatever will be, will be.“
So ist mir heute anscheinend nicht das Glück vergönnt, einen reibungslosen Ablauf des Zugwechsels zu bekommen, aber man sagt sich halt „Das wird schon werden.“
(Hello again. Hier sind wir wieder – erinnerst du dich, ich bin’s, der „Im Nachhinein betrachtet“ Kommentator vom Anfang. Nur ein kleiner Zwischenhinweis… ab diesem Punkt ging die Reise den Bach hinunter.)
Irgendwann im Laufe der Fahrt mit dem Zug, der mich die größte Strecke quer durch Frankreich von Paris aus in den Süden bringen soll, wird nämlich mal wieder eine Verspätung durchgesagt.
Anscheinend hat es mit technischen Problemen am Zug zu tun, was erklären würde, warum beim Einsteigen eine Höllenfeuer-Hitze herrschte und ich nach 4 Stunden Gänsehaut bekam, weil der Zug viel zu weit hinab gekühlt war.
Auf jeden Fall konnte ich so einen rosa Sonnenuntergang genießen, während ich eigentlich schon am nächsten Bahnhof angekommen sein sollte.

majestätisch

Von der Fahrkarten-Kontrolleurin kam zudem ein ungläubiger Blick, als sie sah in welcher weit entfernten Ecke Frankreichs mein Ticket am Morgen abgestempelt worden war. „Sie haben ja schon eine ganz schöne Reise hinter sich“ sagte sie mit großen Augen und warf mir einen schuldbewussten Blick zu, als daraufhin wieder eine Durchsage durch den Waggon hallte. Inzwischen haben wir 50 Minuten Verspätung.

Um euch meinen langen und nicht besonders spannenden Beschäftigungs-Mix zur Bekämpfung der Langeweile zu ersparen, werde ich an dieser Stelle etwas anderes erzählen. Ich muss noch etwas zugeben, dass dem gerne kritisch-sarkastischen Teil in mir nicht gefällt. Die Wahrheit ist, auch wenn in Frankreich Streiken quasi 2. Nationalsport ist, wird die Ehre der französischen Bahn glorreich verteidigt. Was auch immer andere Frankreich-Bereisende für Horrorstories erzählen, meine Erfahrungen sind durchweg service-orientierte Lösungsvorschläge bei Verspätungen statt dem „Entschuldigung für eventuelle Unannehmlichkeiten“ der deutschen Bahnangestellten. In Deutschland hatte ich immer das Gefühl, dass eine Entschuldigung der Bahngesellschaft eher eine Formalität ist, eine vorzeitige Absicherung, weil sie genau wissen, dass sie enorme „Unannehmlichkeiten“ verursachen, es ihnen aber total am Arsch vorbei geht. In Frankreich dagegen bekommt man regelmäßige und ehrliche Updates und Anschlusszüge werden doch tatsächlich gebeten zu warten.
Ich habe heute sogar erlebt, dass ein Taxi Service bezahlt wurde – nur, um die Bahnfahrenden weiterhin nicht an ihrem verlässlichen Transportmittel zweifeln zu lassen. Die Franzosen wissen gar nicht, was für eine Macht die Möglichkeit ihrer schlechten Meinung hat. Wenn sie sich ihrer Macht bewusst würden, bin ich sicher, dass inzwischen Käseplatten zur Zugkantinen-Grundausstattung gehören würden.

Deshalb bleibe ich auch ganz entspannt, als wir wegen einer Zugpanne in Limoges festsitzen und der Zug erstmal noch repariert wird. Ich bin zwar schon müde, aber das wird schon alles werden. Inzwischen sind wir bei 1 Stunde 25 Minuten Verspätung.

Wir bekommen ein „autocar special“, einen Reisebus, der uns ab dem letzten Umsteigebahnhof mitnimmt und all die kleinen Dörfer abfährt, wo unser Anschlusszug eigentlich hätte stoppen sollen, den wir jetzt doch verpasst haben.
Wir sind heute echt früh aufgestanden, und es ist ja nicht so, dass die zwei letzten kurzen Lagerfeuer-Nächte, die an Stunden zum Schlafen recht rar waren, komplett an mir vorbeigegangen wären.
Deshalb versuche ich erstmal einzuschlafen, den Kopf auf Annas Schulter gelehnt, ihr Kopf auf meinen – eigentlich ein super Mitreisenden-Ersatzkissen. Nach 20 Minuten im Bus wird mir aber wieder sehr deutlich bewusst, warum ich in dieser Gegend Züge bevorzuge. Denn die Straße besteht quasi nur aus Serpentinen.
Wieder grade hinsetzen, versuchen, das Schaukeln des Busses zu ignorieren, und über die Köpfe der vor-mir-Sitzenden immer schön auf die Uhrzeit gucken. Es erinnert mich daran, wenn ich als kleines Kind nicht schlafen konnte und in der Dunkelheit gewartet habe, dass auf der Neonanzeige meiner Uhr die Minuten wechseln. Langsam, langsam geht es voran.
Nachdem ich bei 3 Busstationen nach draußen geflüchtet bin, um eine Minute frische Luft zu bekommen, und eine Blässe angenommen habe, die vom grünen Neonlicht im Bus nur noch verstärkt wird, erbarmen sich meine Mitreisenden und lassen mich auf einen der Vordersitze wechseln. Blick geradeaus auf die Straße, sich an der Wasserflasche festklammern und einfach immer weiter mir selber zuflüstern: du schaffst das, wir sind fast da, du schaffst das… so schlecht war mir schon lange nicht mehr.
Und nach zweieinhalb Stunden ist es dann tatsächlich geschafft. Absolut übermüdet purzeln Anna und ich aus dem Bus. Wir sind jetzt seit 16 Stunden unterwegs.
Und dann geht es durch die kühle Nachtluft nur noch den kleinen Weg – nach Hause.

Diese Reise hat sich nun auch dem Ende zugeneigt!
Ich bin wieder in Figeac, und mich erwartet ein langes Wochenende.
Euch wünsche ich erstmal alles Liebe.
Bis dann! Anna

Werbung

Ein Gedanke zu “Die Freuden der französischen Bahn

  1. Lustige Definition vom Reisen, werde ich mir merken. Obwohl Du ja darüber hinaus eine Menge neue Dinge siehst (und denkst). Die verdammte Reiseübelkeit bei Serpentinen kann ich Dir echt nachfühlen, Manno…. viele liebe Grüße M.

    Gefällt 1 Person

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s