Stosswihr, Frankreich
Nachtrag vom 31.05.2017
Am Mittwoch stehe ich um 7.30 Uhr auf. Seltsamerweise bin ich nicht mal richtig müde nach den fünfeinhalb Stunden Schlaf – vielleicht hat mein Körper noch etwas Energie aufgespart von meinem strikten 9-Stunden-pro-Nacht-Luxusprogramm, was mir mein Arbeitsplan in Figeac ermöglicht.
Ab ins Bad, so eitel bin ich dann doch noch. In der Tat war ich die letzte, die in meinem Schlafsaal ins Bett gestiegen ist, und die erste, die wieder aufsteht, in der Dunkelheit versucht ihre Sachen zu finden und sich ins Bad schleicht.
Nach dem Frühstück steht heute auf dem Programm, sich seinen eigenen Werten bewusst zu machen, den Kompetenzen, die wir während des Jahres erarbeitet haben, und sich selbst gut „verkaufen“ zu können.
In meiner kleinen Gruppe lerne ich noch eine andere Anna besser kennen, ein erdbeerblondes Mädchen aus Estland, was super lieb ist. Warum sind bei diesem Seminar so viele tolle Leute? Ich lerne hier echt noch Freiwillige kennen, mit denen ich bisher kaum ein Wort gewechselt hatte, und es schließen sich noch neue Freundschaften.
Die Diskussion ist echt nicht schlecht, man merkt, dass Andere ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Außerdem bemerkt man noch andere Dinge, die man hier gelernt hat – anderen Freiwilligen ist vielleicht eine Qualität aufgefallen, der man sich selber noch gar nicht bewusst war.

Später gibt es eine Zeit der Selbstreflektion. Ich finde es zwar etwas amüsant, dass sie extra eine halbe Stunde Zeit einräumen, damit wir einfach mal in Ruhe nachdenken können – so, als hätten wir das das ganze Jahr hindurch nie gemacht. Aber trotzdem hilft mir das Seminar nochmal darüber nachzudenken, wie ich mich verändert habe und was das Jahr hier aus mir gemacht hat. Beziehungsweise, was ich aus meinem Jahr gemacht habe.
Besonders gut gefällt mir ein Zitat, dass uns der Seminar Leiter mit auf den Weg gegeben hat:
„Devant celui qui marche s’ouvre toujours un chemin.“
(Vor dem, der vorangeht, öffnet sich immer ein Weg.)
Das finde ich wunderschön. 🙂
Wir schreiben dann noch einen Brief an uns selbst, was echt interessant wird, wenn man sich darauf einlässt. Und alle nehmen das auch überraschend ernst.
Der Brief wird geschlossen und einem anderen Freiwilligen anvertraut – eine Vertrauensübung – und dann werden wir uns gegenseitig die Briefe am 1. Oktober dieses Jahres zusenden.
Nach dieser „tiefgründigen“ Reflektion über den Sinn und Erfolg unserer Mission, wird noch ein wenig der Wald um uns herum genossen, die hübsche Landschaft fotografiert.

Am Abend bereiten wir uns in kleinen Gruppen auf eine Präsentation vor – wir wollen uns an unserem letzten gemeinsamen Abend noch was Schönes vorbereiten und machen in kleinen Gruppen eine Vorstellung von etwas, was wir mit dem Jahr verbinden.
Es gibt zwei ironische Sketche, wir tanzen zusammen und es gibt ein paar Spiele, ein ukrainischer Freiwilliger zeigt ein Bild, was er auf diesem letzten Seminar gemalt hat. Meine Gruppe singt „Je ne regrette rien“ von Edith Piaf, und das entspricht für uns auch der Wahrheit.
Später am Abend versammeln wir uns noch einmal um die Feuerstelle. Und es ist wahnsinnig gemütlich. Wie wir uns so auf die Holzstämme rundum quetschen und uns unterhalten und Lagerfeuer-Lieder singen, ist es wirklich schwierig, nicht nostalgisch zu werden – also gebe ich dem einfach mal kurz nach. Wir machen Stockbrot, wovon außer den Deutschen noch nie jemand etwas gehört hat. Wir grillen Marshmallows an den Spitzen der Stöcke und machen S’mores. Wenn man keinen Appetit mehr hat, lässt man die anderen kosten – und wird von breitem Lächeln, Küsschen auf die Wangen à la française und begeistertem „merci“ belohnt.
Rezept für S’mores
(der Name kommt aus dem Englischen: „…because you always want some more.“)– Marshmallows
– Leipnizkekse, Cracker oder etwas Ähnliches
– dunkle SchokoladeMan nehme einen Marshmallow, piekse ihn auf einen langen Stock und drehe ihn vorsichtig im Lagerfeuer, bis er karamellisiert und leicht braun ist (nicht angebrannt).
Dann nehme man 2 Kekse und lege ein Stück Zartbitter-Schokolade auf den einen.
Dann ziehe man den warmen, weichen Marshmallow vorsichtig vom Stock (möglichst ohne dass er überall an den Händen kleben bleibt), drücke ihn auf den Keks und die Schokolade und quetsche den anderen Keks obendrauf wie ein Sandwich. Der Marshmallow klebt alles zusammen.Dann heißt es reinbeißen und genießen oder verschenken und sich ein Lächeln sichern.
Zwischendurch werden Plätze getauscht, um näher am Lagerfeuer zu sein oder am Flaschenöffner, und alle kuscheln sich zusammen. Es gibt wieder ein wenig Ukulele Musik und die „Hits“ vom Vorabend werden nochmal wiederholt. Ich schaue mich um und all die Leute zwischen 18 und 26 an, mit denen ich mich hier angefreundet habe und die mich durch das Jahr hinweg motiviert und ermutigt haben. Diese Seminare sind wichtig, denn ich habe die Präsenz dieser Leute oft vergessen, der anderen jungen Menschen, die auf einer ähnlichen Mission sind wie ich. Dieser letzte Abend bringt uns nochmal zusammen und lässt uns nochmal richtig glücklich zusammen sein – und wir bleiben, bis die Glut hinuntergebrannt ist.
Playlist einer Lagerfeuer-Nacht
Let it Be – The Beatles
La La La – Naughty Boy feat. Sam Smith
Le sud – Nino Ferrer
I See Fire – Ed Sheeran
Yellow – Coldplay
The Golden Age – Woodkid
Can’t help falling in Love – Elvis Presley

Am nächsten Morgen heißt es dann früh Aufstehen, packen, Betten abziehen und das Haus aufräumen.
Und dann ist es schon so weit, es heißt Abschied nehmen.
Und jetzt wird es schwierig, weil ich bei Abschieden emotional werde. Dann sieht man bei der ersten Freundin Tränen, und die Schleusen öffnen sich…
Denn Abschied nehmen ist so viel schwieriger, wenn man keine Ahnung hat, ob man diese ganzen Freunde aus aller Welt je wiedersieht.
Sie kommen aus der Ukraine, Litauen, Spanien, Estland, Moldawien, Österreich, Italien, Deutschland – und Frankreich.
Ich bin dankbar, sie alle kennengelernt zu haben und diese schöne Zeit zusammen verbracht zu haben, und während des Jahres immer jemanden zu wissen der durch das Gleiche durchgeht, sodass man sich niemals verloren fühlen muss.
Und ich bin echt froh, dass ich wenigstens noch meine Mitfreiwillige Anna bei mir habe, als wir dann heim nach Figeac fahren, von den anderen weg. Denn obwohl mir noch 4 Wochen hier in Frankreich bleiben, fühlte sich das jetzt an wie eine andere Art von Abschied – und das fühlt sich dann doch ziemlich final an, da kommt man sich ein wenig allein vor.
Darum hoffe ich auf ein Wiedersehen und sage deshalb an dieser Stelle nicht „Au revoir, Bonne Vie“, sondern „À bientôt“.
Alles Liebe. ❤
Anna